Die Periode 1944-1960: Die Nachkriegszeit

Die amerikanischen Truppen belegten fast alle größeren Fabrikunternehmen, so dass hierdurch eine Stilllegung der Fabriken, Fortschaffung der vorhandenen Roh-, halbfertigen und fertigen Waren und eine beträchtliche Arbeitslosigkeit unter der werktätigen Bevölkerung heraufbeschworen wurde. Der legale Handel stockte, und der Schwarz- und Tauschhandel nahm nie gekannte Ausmaße an. Es galt nunmehr, die Wirtschaft neu zu beleben und wieder mehr oder weniger geordnete Verhältnisse in den als Frontgebiet angesehenen Kantonen zu schaffen.

Die Handelskammer nahm im September 1944 erneut ihre Tätigkeit auf und versuchte anlässlich der Geldumwechslung die maßgebenden Stellen objektiv über die augenblickliche Lage und die Anwendung und Auswirkungen der Geldumwechslung von 1940 aufzuklären. Trotz aller Schwierigkeiten konnte die Kammer im Dezember 1944 wieder ihre Beziehungen zum Verband der belgischen Handelskammern aufnehmen. Anfang 1945 teilte sie den übrigen belgischen Handelskammern mit, dass die Eupener Kammer wieder ihre Tätigkeit aufgenommen habe. Der Ausschuss der Kammer wurde präsidiert durch Josef Jeuckens, Vize-Präsident war Carl Bourseaux. Bis zum Ende des Krieges im Mai 1945 war die Tätigkeit der Kammer nur beschränkt, da die meisten Unternehmen die Arbeit noch nicht aufgenommen hatten. Eine Aufstellung dieser Zeit ergibt, dass am 1. April 1945 von annähernd 40 Unternehmen mit rund 4.500 Beschäftigten (Mai 1940) nur 2 kleinere mit 100 Arbeitnehmern beschäftigt waren.

Nach und nach konnten jedoch die Betriebe, die wegen der monatelangen Benutzung der Fabrikhallen durch amerikanische Heerestruppen und des lange anhaltenden Brennstoff- und Rohmaterialmangels aufgrund der Beschlagnahmung durch das Militär nicht arbeiten konnten, wieder angestoßen werden. Es herrschte aber trotz der zahlreichen Arbeitslosen ein großer Arbeitermangel, da nur derjenige in den Eupener Unternehmen eingestellt werden konnte, der bürgerlich bzw. im Besitz eines besonderen Zivismuszeugnisses war. Um den Handel, das Gewerbe, überhaupt die gesamte Bevölkerung über die nunmehr in Kraft befindliche Gesetzgebung und deren Bestimmungen zu unterrichten, richtete die Kammer im Juni 1945 einen kostenlosen Auskunftsdienst ein, der sich nicht nur mit wirtschaftlichen Fragen, sondern auch mit sozialen und anderen Fragen befasste.

1946 brachte den hiesigen Gebieten neue Verfügungen über die Umwechslung der seit November 1944 hinterlegten bzw. gesperrten Markbeträge. Der Umtausch zu den vorgeschriebenen Sätzen kam einer Katastrophe gleich und stellte eine Vermögensreduzierung ungeahnten Umfangs dar. Diese Situation beeinträchtigte zweifellos arg die Industrie und den Handel in Leistungskraft und Unternehmerinitiative und schwächte deren finanzielle Widerstandsfähigkeit. In dieser Zeit kam es zu vielen traurigen Wirtschaftsprozessen, in denen verschiedene Eupener Firmen zu horrenden Geldstrafen verurteilt wurden, da man im Landesinneren nicht verstanden hatte, dass unsere Kantone während des Krieges nicht nur besetzt waren, sondern dass sie von Deutschland annektiert und die deutschen Kriegsgesetze hier strengstens angewandt wurden.

Ab September 1946 stellt die Kammer wieder Ursprungszeugnisse aus. Ab 1947 konnte die Industrie und der Handel im Kammerbezirk ihren Absatz auf dem Inlandsmarkt merklich steigern. Der Absatz im Ausland erreichte dagegen bei weitem noch nicht den Vorkriegsumfang. Die Handelskammer war ständig bemüht, Erleichterungen und Warenaustauschmöglichkeiten mit Deutschland herbeizuführen, da Deutschland jahrzehntelang eines der besten Kundenländer unserer Gebiete war.

Am 21. Oktober 1947 legte Herr J. Jeuckens sein Präsidentenamt nieder und als Nachfolger wurde Herr Freddy Küchenberg gewählt. Der Ausschuss wurde durch Neuwahlen wieder vervollständigt.

Das Jahr 1948 brachte die Währungsreform in Deutschland, wodurch die vor und während des Krieges entstandenen und jetzt blockierten Guthaben um mehr als das Zehnfache gekürzt wurden, so dass die hiesige Bevölkerung und Unternehmen wieder arg in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Handelskammer macht auch in dieser Nachkriegszeit zahlreiche Eingaben, sei es anlässlich des Gesetzesentwurfes über die Rechtsangleichung in den Gebieten Eupen-Malmedy-St. Vith, um u.a. die Rechtslage der hiesigen Aktiengesellschaften zu schildern, anlässlich der Vorbesprechungen zum neuen Handelsabkommen mit Deutschland oder in Sachen außerordentliche Steuer, gesperrte Guthaben in Deutschland, belgische Sinistrierte in Deutschland, … Die Kammer führt regelmäßige Gespräche mit dem für die hiesigen Gebiete zuständigen Attaché beim Premier Minister und erreicht somit gewisse Erleichterungen und Rücksichtsmaßnahmen.

Der mehr als 30 Jahre lang tätige Sekretär Alfred Jerusalem wird aus Krankheitsgründen durch den beigeordneten Sekretär Alfred Koch ersetzt, der nach dem Tode des Herrn Jerusalem (8. November 1950) zu dessen Nachfolger bestimmt wird.

Ende 1950 wurde der seit Jahren erwartete Gesetzesvorschlag hinsichtlich der Sequester und der Liquidation deutscher Güter, Rechte und Interessen endlich bekannt. Der Gesetzesvorschlag sah einen ungünstigen Umrechnungskurs BEF/Mark vor. Durch zahlreiche Eingaben der Kammer und mit der Unterstützung der Parlamentarier des Bezirkes Verviers ein Sonderkurs und sonstige Vergünstigungen erreicht, die in etwa den bisher erlittenen Verlusten Rechnung trugen.

Am 9. Februar 1950 wurde die fertiggestellte Wesertalsperre feierlich eingeweiht. Eine fast unerschöpfliche Wasserreserve ermöglichte damit das Ansiedeln von Industrien aller Art. Der Wiederaufbau der völlig zerstörte Stadt Sankt Vith bietet Anfang der 50er Jahren im Bausektor vielen arbeitslosen Mitarbeitern der Eisenbahnreparaturstätte eine zeitweilige Arbeit. Im Jahresbericht der Kammer von 1952 wird die Frage aufgeworfen, was geschieht, wenn der Wiederaufbau vollendet ist und die z.Zt. Beschäftigten keine Arbeit mehr finden. Eine weitere in dieser Periode diskutierte Angelegenheit betrifft die öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere der Einsatz in den Kantonen Sankt Vith und Malmedy von Autobussen anstelle der vor dem Kriege fahrenden Dampfzüge.

Für das Jahr 1954 war eine bedeutende Feier bezüglich des 150-jährigen Bestehens der Kammer vorgesehen. Eine umfangreiche Fest- und Werbeschrift wurde erstellt und in Verteilung gebracht. Leider konnten die anderen Veranstaltungen, die für die Feier vorgesehen waren, auf Grund der durch den sogenannten Schulkampf heraufbeschworenen politischen Unruhen nicht stattfinden. Im Bericht über das Geschäftsjahr 1955 ist zu lesen: “Jedenfalls wird diese der Kammer aufgezwungene Absage als eine der unangenehmsten Enttäuschungen, welche die Kammer jemals erlebt, in die Anale der Kammer eingehen”.

Ende der 50er Jahre macht sich das Abflauen der Hochkonjunktur auch bei den Unternehmen des Kammerbezirkes bemerkbar, wobei festzuhalten ist, dass gewisse Industriezweige, wie die Textilindustrie oder die metallverarbeitenden Unternehmen u.a. wegen des Metallarbeiterstreiks, sich in einer derart schlechten Lage befinden, die man schon als Krise bezeichnen dürfte. Das Jahr 1958 stand zweifellos unter dem Eindruck der römischen Verträge über den Gemeinsamen Europäischen Markt (Unterzeichnung am 25. März 1957), die am 1. Januar 1958 in Kraft traten. Die Kammer nahm an verschiedenen wirtschaftsbezogenen Veranstaltungen in Brüssel anlässlich der Weltausstellung 1958 teil.

Periode 1961-1968: Umwandlung in eine GoE

Am 17. Januar 1961 wird die freie industrielle und kaufmännische Vereinigung “Industrie- und Handelskammer zu Eupen” in eine Gesellschaft ohne Erwerbszweck umgewandelt. Hauptgrund dieser Umwandlung ist dem Protokoll der Sitzung des Ausschusses vom 15. Juni 1959 zu entnehmen, in dem zu lesen ist: “… erklärt der Präsident, man habe sich in Brüsseler Kreisen des Öfteren darüber gewundert, dass die IHK Eupen keine GoE sei, obschon dies eine der Grundbedingungen sei, um im Auftrage des Wirtschaftsministeriums Ursprungszeugnisse auszustellen. Im Übrigen dürfte wohl die IHK Eupen die einzige offizielle Handelskammer Belgiens sein, die nicht eine GoE ist.

Am 17. Januar 1961 findet die Auflösungs- bzw. Umbildungsversammlung der IHK statt. Herr F. Küchenberg beginnt seine Ansprache an die Mitgliederversammlung wie folgt: “Meine Herren, die IHK zu Eupen, umfassend die Kantone Eupen-Malmedy-St. Vith, tritt heute zum letzten Male in der Form zusammen, die sie im Jahre 1922 durch General Baltia erhalten hatte, …”. Der bisherige Vizepräsident, Herr Carl Bourseaux, verzichtet aus Gesundheitsgründen auf die Fortführung seines Mandates. Die Anzahl Mitglieder beläuft sich im Jahr 1961 auf rund 60 Firmen. Im Jahr 1962 nimmt Herr Koch, Geschäftsführer der IHK, erstmalig an den Sitzungen der Geschäftsführer der Kammern des Dreiländerecks teil.

Die wirtschaftliche Lage Beginn der 60er Jahre ist für die meisten Unternehmen des Kammerbezirkes, zufriedenstellend bis gut. Es herrscht ein Mangel an Arbeitskräften vor, besonders an qualifizierten Arbeitern und an weiblichen Arbeitskräften, der besonders durch die Nachfrage aus dem Aachener und Vervierser Raum sowie ab 1963 auch noch der Unternehmen, die z.Zt. mit dem Bau der Autobahn beschäftigt sind, gefördert wird. Am 6. November 1964 findet in Gegenwart S.M. des Königs Balduin und des Bundespräsident Heinrich Lübke die Eröffnung der Autobahn Antwerpen-Lüttich-Aachen statt, wodurch Belgien an das deutsche Autobahnnetz angeschlossen und die Ostkantone Direktverbindungen nach Westen und Osten erhielt. Ende November 1964 wird, nach 45jähriger Unterbrechung, die durchgehende Autobusverbindung Eupen-Aachen eröffnet.

Ende 1965 verlegt die IHK ihre Geschäftsräume von Neustraße 34 nach Neustraße 32 und richtet sich den aktuellen Notwendigkeiten entsprechend neu ein. Infolge einer grundlegenden Abänderung der belgischen Arbeitsschutzgesetzgebung gründen die IHKs und Arbeitgeberverbände des Bezirkes Verviers im Jahr 1967 den zwischenbetrieblichen Gesundheitsdienst SMIDEB.

Die belgische Wirtschaft befindet sich Mitte der 60er Jahre in einer Periode von Spannungen, die sich besonders durch eine beschleunigte Steigerung der Preise, Löhne und Zinssätze kennzeichnete. Eine Berechnung der Kammer zufolge stiegen zwischen 1960 und Ende 1966 die Lohnkosten um 89,65 % und führten, bei fast gleichbleibenden Verkaufspreisen und trotz Produktivitätssteigerungen, zu bedeutenden Rentabilitätsverlusten. Im Jahr 1966 war es insbesondere die Textilindustrie, die unter den wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf nationaler und internationaler Ebene zu leiden hat. Dem Geschäftsbericht ist zu entnehmen, dass “die Zukunftsaussichten für die hiesige Textilindustrie demnach z. Zt. besorgniserregend sind”.

Periode 1968-1975: neue Führung, schwierige Wirtschaftslage

In der Ausschusssitzung vom 30.01.1968 erklärt Herr Freddy Küchenberg, dass er nach 21 Jahren Präsidentschaft das Amt niederlegen möchte. Nachfolger wird Herr Alfred Bourseaux. Das Jahr 1968 ist durch eine allgemeine Wirtschaftsbelebung gekennzeichnet. Die Anzahl Mitgliedsfirmen beläuft sich Ende 1968 auf 57 Unternehmen. Am 4. Februar 1969 verstirb plötzlich der langjährige Geschäftsführer, Herr Alfred Koch. Als Nachfolger wird Herr Josef Bernrath zum 1. August 1969 eingestellt. Somit beginnt eine neue Ära der Kammer, da neben dem seit einem Jahr tätigen neuen Präsidenten, Herrn Alfred Bourseaux, mit Herrn Bernrath ein neuer Geschäftsführer fungiert.

Die wirtschaftliche Lage Ende der 60er und Beginn der 70er ist im Kammerbezirk, besonders im Kanton Eupen, von “einer Welle der Hochkonjunktur” gekennzeichnet. Wachstumsraten sind fast in allen Bereichen der Wirtschaft zu verzeichnen, wodurch der Arbeitsmarkt stark angespannt ist. Diese positive Lage verdeckt jedoch gewisse Schwierigkeiten, mit denen insbesondere die Industrie konfrontiert ist: überdurchschnittlicher Anstieg der Personalkosten, erhöhte Steuerlasten, Personalmangel, Abwanderung hiesiger Arbeitskräfte, Absinken der Rentabilität, Konkurrenzdruck auf dem In- und Auslandsmarkt. Ende 1972 zählt die Kammer erstmalig 100 Mitglieder.

Trotz anhaltender steigender Preistendenz im gesamten europäischen Raum und trotz der gegen Ende 1973 auftretenden Versorgungsschwierigkeiten mit Treib- und Brennstoffen (erste Ölkrise), verbunden mit erheblichen Preiserhöhungen blieb der Kammerbezirk, bis auf die Schließung einer in 1969 gegründeten Konfektionsfirma mit 100 Beschäftigten in Sankt Vith, von wirtschaftlichen Rückschlägen verschont. Das Jahr 1974 bringt eine weitere Zuspitzung der Entwicklung der Verbraucherpreise und damit verbunden ein überdurchschnittlich bedeutende Steigerung der Personalkosten, womit eine nicht mehr zu kontrollierende Kostenpreisspirale in Gange gesetzt wird. Die Auswirkungen der einsetzenden Rezession führen zu einem Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Viele ostbelgische Betriebe versuchen über verstärkte Kurzarbeit, möglichst von Entlassungen abzusehen.

Weiter mit Teil 5: 1976 bis heute

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